Ich habe seit zwei Monaten einen neuen Typen an meiner Seite. Er ist mir einfach so passiert. Ihr wisst ja, wie das läuft. Man denkt sich nicht viel dabei und ehe man sich versieht, kann man nicht mehr ohne ihn. Wenn ich morgens meine Augen aufschlage ist er schon wach und blinzelt mich gutgelaunt an. Er raunt mir mit warmem Morgenatem ins Ohr: „Komm, Kleine. Bleib noch ein bisschen liegen. Ist noch viel zu früh. So schön gemütlich hier.“ Widerstand ist zwecklos. Ich bleibe in seiner Beinzange im Schraubstock gefangen liegen und schlafe auf der Stelle wieder ein. Na, super. Jetzt habe ich noch 20 Minuten Zeit ehe ich aus dem Haus muss. Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenbinden, Augenringe abdecken, Lippenstift und fertig ist das Asset Management. Kaffee im Pappbecher. „So geht das!“, findet mein treuer Gefährte, der sich mit einer zu grossen Portion Selbstverständlichkeit in meinem Leben breit gemacht hat. Ich war mir sicher, dass das so ein kurzfristiges Ding ist mit uns. Ein unschuldiger Flirt ohne Nebenwirkungen und Folgen. Aber nein, er ist gekommen um zu bleiben und ich bin mir nicht sicher, ob seine Absichten gut sind.
„Hör zu, ich muss jetzt zur Arbeit und ich werde dich den ganzen Tag über ignorieren“, sind meine Abschiedsworte und er leistet meinem Befehl artig Folge. „Aber arbeite nicht zu lange, ja?“ Endlich frei, denke ich. Bei der Arbeit kann ich so einen Klammerer nun wirklich nicht brauchen. Ich denke nur während der Kaffeepause kurz an ihn und verdränge den Gedanken gleich wieder, indem ich das Fenster öffne, so als wäre er ein übler Geruch. Kaum fällt abends die Bürotüre ins Schloss, umklammert mich seine Hand mit festem Griff. Wir schlendern im Zeitlupentempo Richtung Paradeplatz, schauen in jedes Schaufenster, kaufen uns Marroni und im Teuscher ein paar Pralinen. Überraschenderweise besitzt er ein Shopping-Gen und zerrt mich träge am Ärmel in ein Geschäft. Ich kaufe mir einen dunkelgrünen, mit Teddyfell gefütterten Parka, ohne ihn anzuprobieren. Grösse S, das passt schon. Es passt immer alles mit ihm. Wie macht er das nur? Wir passen doch so gar nicht zusammen. Er ist ein Couchpotato, ein bekennender Sportmuffel, ein Opportunist und vollkommen anspruchslos in jeglicher Hinsicht. Nur hartnäckig ist er, unerhört sogar. Ausserdem ist er ein Vielschläfer, ein Nimmersatt, ein Warmduscher und ein Larifari. Er erledigt die Dinge bevorzugt im Liegen. Tiefenentspannt und ziellos schlendert er durchs Leben und ist dann glücklich, wenn ich glücklich bin. Er ist ein Anhänger von Convenience Food und findet Gerichte mit Wasabi-Schäumchen und karamellisierten Häubchen eine sinnlose Angeberei. Ihm und seinem schlafwandlerischen Gang nach Hause verdanke ich, dass ich nur noch 1 Stunde Zeit habe, bis ein alter Freund, den ich zum Essen eingeladen habe, bei mir eintrifft. Meine Wohnung ist eine kleine Messi-Oase. Schön ist anders. „Nur keine Hektik aufkommen lassen“, findet mein neuer Freund lächelnd. „Guck mal. Es schneit! Fondue ist doch viel passender als dieser Dialog von in Olivenöl und Zitrusraspel marinierten Ziegekäsescheiben mit Belugalinsen und Bohnen. Und du wolltest jetzt doch nicht im Erst noch eine Sachertorte backen?! Eis und Kerzenlicht anstelle des Staubwedels tuns auch.“ Stimmt. Er ist eben auch ein Pragmatiker. Verständlich, dass ihr ihn sympathisch findet. Während ich hier schreibe, tippt er mir alle gefühlten 5 Minuten auf die Schulter und hascht nach Aufmerksamkeit wie ein Kleinkind: „Pause! Schokolade! Kaffee, jetzt. Glotze an.“
Auf der Skipiste bekommt unsere zarte Zuneigung zueinander erste Risse. „Jetzt hör mal zu, ich weiss ja, dass du dich nicht gerne sportlich betätigst. Aber muss die Skihütte schon nach 30 Minuten sein?“ murre ich ihn an. „Brr! Viel zu kalt hier oben. Komm, wir kuscheln etwas auf einem Schaffell und trinken eine heisse Schokolade. Ich massiere dir deine Füsse.“ Überhaupt ist der Sport ein Knackpunkt in unserer noch jungen Beziehung. Ich muss Sport machen, weil ich sonst hibbelig werde und unausgeglichen bin. Seit wir uns kennen, ist sogar meine heilige Yogasäule ins Wanken geraten. „Ist doch viel zu anstrengend“, findet er und „es dauert eine Ewigkeit bis du wieder daheim bist. Ausserdem würden dir ein paar Kilo mehr gut stehen.“ Meine Vorsätze werden mit den mannigfaltigsten Argumenten torpediert bis sich seine Trägheit schlussendlich auf meinen Körper überträgt und mich bleischwer aufs Sofa sinken lässt, wo ich dann engumschlungen mit ihm liegenbleibe. Er hat eine Stimme, wie eine Umarmung. Sie lullt mich wie ein Schlaflied ins Nirvana der Lethargie. Wenigstens ist er kein Analphabet. Er liest hin und wieder. Anspruchslose Belletristik und die 20 Minuten. Seine lahmen Ausreden wie „ich würde ja wirklich gerne, aber es ist so kompliziert“ stossen bei mir meist auf taube Ohren. Ja, klar. Furchtbar, furchtbar kompliziert. Nur keinen unnötigen Aufwand betreiben.
„Du bist ein Schwein“ fahre ich ihn an. „Das kann auf die Dauer einfach nicht gutgehen mit uns beiden. Wir müssen jetzt getrennte Wege gehen du und ich. Und es liegt an dir und nicht an mir.“ „Kann schon sein“, entgegnet er nonchalant. „Aber ich bin ein Schwein, das dir gut tut. Wann warst du das letzte Mal so entspannt wie mit mir?“ Er hat leider Recht. „Und ich bin auch der Hund, den du dir schon seit Jahren sehnlichst wünschst“ und schaut mich dabei mit zur Seite geneigtem Kopf und seinen treuherzigen Hundeaugen an. Ich bin versucht ihn ein wenig zu kraulen als er nachdoppelt: „Ich bin dein Erlöser und Entschleuniger.“ Gut gebellt, Schwein. Er leckt über meine Hand und furzt in mein Bett. Spätestens im März, so nehme ich mir vor, muss ich mir ein Herz fassen und ihn vor die Türe stellen. Irgendwann muss ich mir nämlich auch wieder meine Beine rasieren, denn dieser Ganzkörperpelz findet nur er attraktiv und seit wann, lasse ich mir eigentlich von einem Kerl etwas vorschreiben? Ich sehe mich ansonsten schon bei meinen Eltern, wo ich ihn wohl oder übel als meinen neuen Lebensabschnittspartner vorstellen muss. Als den Schweinehund, den ich nun seit Weihnachten an der Backe habe. Er ist die personifizierte Dreifaltigkeit der Trägheit: Prokrastination, Passivität und Faulheit sind seine Vornamen.
Wenn das Schwein auf den Hund trifft und sie zusammen an deiner Haustüre klingeln, liegt die Vermutung nahe, dass du dir das Doppelpack vor langer Zeit gewünscht und die Bestellung dann unerwartet erhalten hast. Aufgrund ihrer aufsässigen, besitzergreifenden und hartnäckigen Art empfehle ich daher dringend die Haustüre zu verriegeln und sich tot zu stellen, bis die beiden an der Türe nebenan klingeln.
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Ohhh so gemein – da dachte ich am Anfang doch „Amor“ hat eingeschlagen und das Schwein hat paar Ansatzpunkte von meinem Mann 😉
Doch den setzte ich nicht vor die Tür. Ich bin gespannt wie Du die Trennung im März verkraftest?! Denk dran, nun ist Fastenzeit also gibts keine Pralines gegen Liebeskummer!
Freu mich auf weitere Beiträge 🙂 🙂
Dankeschön. Ich freue mich, dass du den Beitrag zu Ende gelesen hast und somit die Pointe verstanden hast 🙂 Nachdem mich 4 Leserinnen gefragt haben, ob ich frisch verliebt bin, sollte ich die Beiträge künftig wohl wieder etwas kürzer verfassen. Liebeskummer und Verliebtheit verträgt sich dummerweise nie so recht mit meinem Appetit. Aber diesen Schweinehund werde ich wohl ohne Liebeskummer los, obwohl er mir schon ein bisschen gut tut. Er ist das Yin und ich das Yang. Genau wie deinem Mann und dir. Er ist der Ruhepol der vor Hyperaktivität schützt. Gut, hast du ihn nicht vor die Türe gesetzt. Ich finde, dass er auch mehr vom Hund als vom Schwein hat.
Uff, das tönt anstrengend! Darum sollte jede Wohnungstür einen Spion haben, da bleiben Dr. Schwein und Mr. Hund draussen vor der Tür. Und wir Ladys gehen ganz entspannt ins Yoga. So geht das!
Ich war ein bisschen naiv als ich sie reingelassen habe. Wie lange war dein längster Flirt mit dem Schweinehund?
Genialer Text.
Bei mir waren sie auch schon. Schwer, ihnen was abzuschlagen, aber irgendwann und irgendwie gehts dann doch.
Wenn sie sich bloß nicht so groß aufspielen würden, die drei Kumpels!
Schreib weiter. Wie es ab März weitergeht, will ich dann auch unbedingt lesen! 🙂
Oh, danke viel-, vielmals! 🙂 Das ermutigt mich eine Fortsetzung zu schreiben. Beruhigend zu wissen, dass sie auch bei anderen erfolgreich waren. Ich werde sie mit vielen Terminen blockieren und ihnen das Futter wegsperren.