Ich habe es nicht so mit Zahlen. Statistiken hingegen finde ich höchst interessant, solange ich sie nicht selbst erheben muss. Meine geniale Jahresstatistik auf WordPress verriet mir beispielsweise, dass das Fremdgänger-Gen der am drittmeisten gelesene Beitrag im Jahr 2014 war. Auf Platz 1 lag der Beitrag zum Fotoshooting Vorher-Nachher, gefolgt von Prädikat beste Freundin und auf Platz 4 und 5 der Bad Hair Day und What Women Want.
So widme ich mich heute – nach dem DRD4-Gen, welches effekthascherisch als das Fremdgänger-Gen bezeichnet wird – einer anderen Genvariante, dem Dopamin D2 Rezeptor-Gen, kurz dem DRD2-Gen.
Das DRD2-Gen fungiert als unser kleiner Dirigent im Gehirn und ist massgeblich daran beteiligt, wie die Signalweiterleitung in den Stirnlappen erfolgt, führt der Bonner Psychologe Dr. Markett aus. Wenn das orchestrale Chaos eingesetzt hat, liegt das daran, dass der Taktstock ein falsches Tempo vorgegeben hat. Gemäss diesen wissenschaftlichen Studien der Universität Bonn lassen sich die Schusseligkeitswerte in unseren Genen ablesen und wir haben endlich eine Ausrede für unsere Aussetzer, Gedächtnislücken, kleinen Missgeschicke und Aufmerksamkeitsdefizite. Erstaunlicherweise waren von den getesteten Personen rund die Hälfte Träger dieser bestimmten Genvariante. Die Tatsache, dass eine derart hohe Prozentzahl Menschen unter diesem Schusseligkeitsgen und der damit einhergehenden Tollpatschigkeit, Schusseligkeit und Vergesslichkeit leidet, sollte als grosser Trost für die Allgemeinheit gelten.
Wer also mit regelmässiger Häufigkeit Hausschlüssel oder Handys „verliert“, volle Kaffeetassen umstösst oder Adressen, Verabredungen und Geburtstage vergisst und dabei – worst case – noch gleichzeitig ein Knie oder den Kopf irgendwo anstösst, weiss nun mit Sicherheit, dass das kein Zufall ist, sondern am genetischen Erbgut liegt. Gute Gene, schlechte Gene! It’s all in the mix. Ich gehöre mit Sicherheit ebenfalls zu den Trägerinnen dieser besagten Genvariante. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht irgendwo einen Fuss anstosse und dabei gen Himmel schaue und fluche. Warum immer meine Füsse und Zehen?! Meine Knie und Schienbeine sind ebenfalls sehr prädestiniert für Zusammenstösse der gröberen Art und ich habe wohlweislich eine Versicherung für mein überteuertes Smartphone abgeschlossen, weil ich eine Vorliebe habe, damit gegen Wände zu laufen oder es in irgendeine, später unauffindbare Tasche, zu stecken. Nur das mit dem Gedächtnis funktioniert bei mir reibungslos, mit Ausnahme der Dinge, die ich jetzt vergesse, dass ich sie vergessen habe. Ich habe mit grosser Wahrscheinlichkeit eine noch nicht diagnostizierte und höchst seltene Genvariante. Ich verbeuge mich vor meinem elefantösen Gedächtnis, das sowohl wichtige und gänzlich unnütze Dinge speichert. Es kann ganze Dialoge, einzelne Wortfetzen und getragene Kleider abrufen und ich staune, wenn mir jemand Dinge zum 2. oder 3. Mal erzählt und nicht merkt, dass ich die Pointe bereits kenne. Auf mein visuelles Gedächtnis, speziell für Gesichter, bin ich sogar ein wenig stolz. Gut, ich merke mir ausschliesslich Dinge und Personen, die ich als (für mich) relevant erachte. Erreichte Schwangerschaftswochen und Aktienkurse speichere ich beispielsweise nicht auf meiner Festplatte und eigentlich wollte ich noch etwas Wichtiges in diesem Zusammenhang schreiben, aber ich habe es jetzt gerade vergessen.
Aufmerksamkeit, so meinen die Psychologen dazu, lässt sich trainieren (sofern das Defizit überhaupt als solches erkannt worden ist) indem man sich einfach ein bisschen anstrengt präsenter und wacher zu sein. Und bei chronischem Aufmerksamkeitsdefizit: Einen Kaffee trinken. Der Vergesslichkeit wirken Notizen entgegen und feste Plätze helfen dabei Gegenstände zu finden, die man ansonsten tagtäglich suchen muss. Und ein bisschen Schusseligkeit kann durchaus charmant wirken.
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Die Gene haben es in sich. Was bin ich froh, dass ich jetzt immer den Genen die Schuld geben kann, wenn ich … oh, was wollte ich grad schreiben?
Ähm. Du weisst ja.
Spannender und gut geschriebener Text. Und sehr tröstlich! 😉
Vielen Dank, Denise. Eindeutig Opfer seiner Genkombi und allgemeines Leiden unter Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen sowie mangelhafter Konzentration, nur weil diese bösen, bösen Gene bei der Dopaminbindung im Gehirn einen so schlechten Job machen 😉